Bahnhof SBB Thun, Umbau Perron 2/3
Bahnhof SBB Thun, Umbau Perron 2/3
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EINREICHUNG Nr. 503
Die historische Treppe zwischen der Personenunterführung (PU) Frutigenstrasse und dem SBB-Perron der Gleise 2/3 wurde zwecks Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG) durch eine längere Rampe ersetzt. Dabei mussten vier historische Stahljoche und Pfetten Jahrgang 1924 samt Holzdach weichen. Dennoch konnte der Stahlbau instandgesetzt und integral erhalten bleiben, indem die Joche entsprechend der neuen Geometrie angeordnet wurden: Neu stützen sich im PU-Bereich die zwei T-Joche auf einer Stahlbetondecke über die Rampe, während im Perronbereich die zwei PI-Joche beidseitig der Rampe stehen.
Sparren und Dachhaut aus den 1960er-Jahren wurden gleichwertig erneuert. Das verlängerte schmiedeeiserne Geländer um die Rampenöffnung besteht komplett aus diversen Beständen auf dem Bahnhofareal.
Anlass dieser Einreichung ist die technische, architektonische und ökonomische Machbarkeit der Wiederverwendung baukulturell wertvoller Bauteile bei BehiG-Umbauten der SBB.
Texte Davos Kriterien (Selbstevaluation)
Gouvernanz
Das Gesetz BehiG und die Verordnung VböV ordnen den barrierefreien Zugang zu öffentlichen Einrichtungen an. Das Bundesamt für Verkehr (BAV) beauftragte die SBB Infrastruktur für die Realisierung. Das unkonventionelle Umbaukonzept in Thun basierte auf dem statischen Nachweis des Bestands nach SIA 269 und wurde von der Denkmalpflege und bauerfahrenen Projektbeteiligten vom Entwurf bis zur Realisierung unterstützt. Im Dialog zwischen den Disziplinen gelang die ganzheitlich überzeugende Umsetzung.
Funktionalität
Die Rampe wurde zugunsten von erhöhten Sicherheitsabständen am Perron 2.50 m schmal ausgebildet, während die Decke über der Rampe zusätzliche Perronflächen schafft. Die statische Kopplung von Fahrleitungsmast und T-Joch trägt wesentlich zur Längssteifigkeit des Perrondachs bei. Der Jochtransport und die -montage mit dem Gleisbagger erwiesen sich in Anbetracht des Gewichts und der angrenzenden Fahrleitungen als machbar und die Bautätigkeit verlief ohne Einschränkung des täglichen Perronbetriebs.
Umwelt
Dank Repair und Reuse blieb die graue Energie des Stahlbaus erhalten. Das differenzierte Korrosionsschutz-erneuerungskonzept reduzierte den Transportaufwand erheblich: Komplette Sandstrahlung und Neubeschichtung der nun schwer zugänglichen Pfetten im Werk kombiniert mit punktuellen Ausbesserungen der Joche vor Ort auf dem angrenzenden Instandsetzungsgerüst. Sämtliche Bauarbeiten erfolgten Nachts abseits von Wohnquartiere und dementsprechend ohne Gefahr und Lärm für Reisende tagsüber.
Wirtschaft
Bis 2028 investiert das BAV über CHF 2500 Mio. in die BehiG-Konformität der SBB. Dabei werden erst 434 von 764 Bahnhöfen per Ende 2023 umgebaut, weshalb der Umbau in Thun planerische und technische Weichen für andere Projekte stellen könnte. Das Bahnhofareal gilt zudem als kantonaler Entwicklungsschwerpunkt, bei denen sich Betriebe um verkehrsmässig gut erschlossene Standorte ansiedeln. An dieser Tourismusdestination wird der Erhalt des historischen Charakters umsomehr wertgeschätzt.
Vielfalt
Ab 2024 werden drei Viertel aller KundInnen in den SBB-Bahnhöfen hindernisfrei und autonom reisen können. An den Perrons 2/3 in Thun wird insbesondere die Fernverkehrsstrecke der Achse Bern-Interlaken bedient. Zugleich trägt der Perronzugang zur Frutigenstrasse zur städtebaulichen Vernetzung bei, da die direkte Stadtanbindung ohne Umwege durch das Bahnhofgelände gestärkt wird. Baukultur wirkt insbesondere im öffentlichen Raum identitätsstiftend für die vielfältige Stadtbewohnerschaft.
Kontext
Durch seine Positionierung bildet der umgebaute Perronabschnitt den Auftakt des Bahnhofsensemble für Zugreisende ab Bern. Neue Elemente wie Fahrleitungsmasten und Windverbandknoten wirken zurückhaltend integriert. Dunkel gestrichene Holzsparren und -schalung bewirken eine nahtlose Verlängerung des bestehenden Perrondachs. Das schmiedeeiserne Geländer übersetzt das übergeordnete Materialisierungsprinzip von Betonbrüstungen zur PU Bahnhof und Metallgeländer zur PU Frutigenstrasse.
Genius Loci
Die Perrondachlandschaft wirkt als funktionales Pendant zum repräsentativen Hauptgebäude im neubarocken Heimatstil mit tempelartiger Fassade. Das Ensemble stammt von Ingenieur Merz und Architekt Theodor Nager, der viele Kraftwerke und Bahnhöfe für die SBB entwarf. Insbesondere die Formensprache des schmiedeeisernen Geländers -, das von den Vorfahren des Metallbauers Soltermann erstellt und heute von ihm selber instandgesetzt und verlängert wurde - trägt zur Unverwechselbarkeit des Ortes bei.
Schönheit
Die transparente und detailreiche Stahl- und Metallbauwerke harmonieren mit den glatten, geschlossenen Flächen der Betonrampe darunter sowie der verschatteten Dachstruktur in Holzbauweise darüber - eine räumlich klare Schichtung einfacher Materialien. Die Ausbesserungen im Farbton DB 702 sind kaum vom bestehenden Korrosionsschutz zu unterscheiden. Die Sichtachse in der Rampe zielt entweder frontal oder unterhalb eines T-Joches, was zur sinnlichen, räumlichen Orientierung beiträgt.
Eigenschaften
Ort
Thun
Baukategorie (SIA 102)
Verkehrsanlagen
Art der Aufgabe
Umbau
Art des Verfahrens
Offerte
Baukosten in CHF (SIA 416)
1'876'000
Geschossfläche in m² (SIA 416)
350
Planung
2022 → 2022
Fertigstellung
2023 → 2023
Inbetriebnahme
2023